Vorgestern ist mir folgendes Schreiben ins Haus geflattert:

 

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Sehen und Erinnern

1/2005

 

Betrachten und Erinnern von Werken der Architektur, des Design, der Bildhauerei, der graphischen Gestaltung oder des Filmschaffens mit den Augen

 

 

Werke der Architektur, des Design, der Bildhauerei, der graphischen Gestaltung oder des Filmschaffens

Von Matthias Zehnder, Fachjournalist, Basel

 

Wer seine Augen nutzt hat heute Zugriff auf die Werke vieler Künstler. „Fokussieren“ heisst diese Technik. Mit Hilfe von „Fokussieren“ lassen sich mit dieser portablen Einrichtung bequem Werke der Architektur, des Design, der Bildhauerei und der graphischen Gestaltung abrufen. Die Künstler bieten heute die Möglichkeit an, sich über „Fokussieren“ in ihre Werke auf öffentlichen Plakaten,  in Schaufenstern, an den Gebäuden und in den Gebäuden einzuklinken. So ist es möglich, mit den Augen urheberrechtlich geschützte Werke zu sehen.

 

An sich wäre es möglich, auf dieselbe Weise auch Kinofilme öffentlich zu Verbreiten. Grosse bewegte Flächen sind aber aus Gründen der Verkehrssicherheit heute nur ausnahmsweise im öffentlichen Raum zugelassen.

 

Auch wer mit den Augen Werke der Architektur, des Design, der Bildhauerei, der graphischen Gestaltung oder des Filmschaffens empfängt, muss sich grundsätzlich bei der Billag anmelden und Gebühren bezahlen.

 

Betrachten von Werken der Architektur, des Design, der Bildhauerei, der graphischen Gestaltung

Zugang mittels Fokussieren

Kopieren mittels Gedächtnis (z.B. Auswendiglernen)

 

Betrachten von Werken des Filmschaffens

Zugang mittels Fokussieren

Kopieren mittels Gedächtnis (z.B. Auswendiglernen)

 

Beim gewerblichen Empfang gilt zusätzlich:

Das Unternehmen hat keine technischen Vorkehrungen getroffen, um das Betrachten vermittels der Augen zu unterbinden.

 

Stichworte

Gerät: Werke der Architektur, des Design, der Bildhauerei, der graphischen Gestaltung oder des Filmschaffens kann man nicht nur mit einer herkömmlichen Webcam sondern zum Beispiel auch mit den Augen oder dem Abtasten einer Bildumsetzung für Blinde betrachten. Es kommt nicht darauf an, auf welchem Kanal und mit welchem Gerät die Werke abgerufen werden. Wenn das Betrachten möglich technisch möglich ist und die Augen betriebsbereit sind, muss man sich anmelden.

 

Haben Sie weitere Fragen zu den Betrachtungsgebühren? Wir helfen Ihnen gerne weiter:

Infoline 0844 834 834, Montag bis Freitag, von 7:30 bis 17:30 Uhr

www.billag.ch

 

Schweizerische Inkassostelle für Radio- und Fernsehempfanggebühren

Billag AG

Postfach

CH-1701 Freiburg

 

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Tatsächlich war im Original vom PC mit Webanschluss statt der Augen und von Radio- und Fernsehempfang statt der Werke der Architektur, des Design, der Bildhauerei, der graphischen Gestaltung oder des Filmschaffens die Rede. Die Absurdität der Forderung wird durch diese Änderung aber keineswegs abgeschwächt.

Jeder, der schon einmal bei der Fussball-WM auf dem Internet ein Spiel abrufen wollte, hat die Erfahrung gemacht, dass die Radio- und Fernsehanstalten solche Übertragungen nur gebührenpflichtig zugänglich machen. Das heisst, sie haben „technische Vorkehrungen getroffen, um den Empfang über Internet zu unterbinden“, sofern der Empfänger keine Gebühr bezahlt hat. Wo eine Sendung gebührenfrei empfangen werden kann, handelt es sich um eine freie Entscheidung der Sendestation, diese aus Werbegründen – wie ein Plakat – öffentlich zugänglich zu machen.

Wer nun bei der Billag eine „Empfangsgebühr“ für den Internetzugang bezahlen muss, obwohl er keinen Fernseher besitzt und nicht gewillt ist, die debilen Fernsehsendungen anzuschauen, muss dafür bezahlen, dass er einen PC für seine Arbeit benötigt. Wer mit Hilfe des PCs Fernsehsendungen anschaut, bezahlt mehrfach: einmal für den passwortgeschützten Zugang interessanter Sendungen wie etwa bei der Fussball-WM. Einem Betreiber eines Gewerbes, wo die Mitarbeiter den Internetzugang für ihre Arbeit benötigen, muss einen beträchtlichen Aufwand leisten, um „technische Vorkehrungen“ zu treffen, „um den Empfang über Internet zu unterbinden.“

Dieser neue Streich des notorischen Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum EIGE ist eine bodenlose Frechheit. Offenbar ist es jedem Urheber möglich, seine Werke nicht über das Internet anzubieten, beziehungsweise ihren gebührenfreien Konsum mittels „technischen Vorkehrungen“ „zu unterbinden“. Es ist ein Schildbürgerstreich sondergleichen, Hunderttausende von schöpferisch tätigen Menschen und Firmen (Urhebern vieler kleiner und grosser Werke) mit Gebühren zu belasten, die ja dann in die Taschen von Urheberrechtsjuristen fliessen.

Diese neue Zumutung des EIGE dürfte ungesetzlich sein. Ich werde jedenfalls keine Gebühren für den Besitz eines handy bezahlen und es trotz den angekündigten drakonischen neuen Betreibungsmassnahmen („Neue Regeln bei Mahnung und Betreibung“) auf den Rechtsweg ankommen lassen. Erfreulicherweise enthalten die neuen Regeln die Garantie, dass eine Betreibung eingeleitet werden wird. Damit ist es für das EIGE unmöglich, die richterliche Überprüfung dieser Angelegenheit zu vermeiden.

In jedem Fall dokumentiert diese neue missbräuchliche Auslegung des Urheberrechts, wie dieses, angeblich zugunsten kreativer Menschen geschaffen, zunehmend jede kreative Arbeit verhindert.

Das Urheberrecht nützt nur den grossen Konzernen und schadet den Künstlern.