Alte Bekannte

Dank einem Hinweis von Luzius Blatter habe ich heute in einem Messwagen der ETH auf dem Platzspitz eine Kopie eines alten Programms der Enter AG laufen gesehen:




Das es sich um die Datenerfassung handelt, welche die Daten direkt von der Messhardware bezieht, läuft es vermutlich noch auf MS-DOS.

Das Programm stammt aus den Jahren 1988-92 und konnte damals an rund fünf Kunden verkauft werden. Seit 1995 habe ich nur noch einmal davon gehört: 1998 versuchte ein Messwagenbetreiber hysterisch eine Garantie der Jahr-2000-Verträglichkeit von mir zu erhalten. Ich teilte ihm damals mit, dass die Julianischen Tage, die wir damals für den Kalender implementiert hatten, den Gregorianischen Kalender schon richtig implementierten, dass das Programm also durchaus Jahr-2000-verträglich sei. Um aber auch das Betriebssystem und die anderen Geräte im Verbund zu testen, sei es ihm unbenommen, das Datum auf dem PC ein paar Monate in die Zukunft zu verschieben. Dann könne er sogar den Jahrtausendübergang testen, auch wenn das eigentliche Ende des Jahrtausends erst ein Jahr später stattfinde.

Freude

Dass ein solches Programm, das 24 Stunden pro Tag und 7 Tage pro Woche laufen muss, immer noch in Betrieb ist und seinen Dienst tut, freut mich sehr. Die eingesetzte Messerfassungshardware ist offenbar ebenfalls von einer erstaunlichen Haltbarkeit. Als ich das Programm zusammen mit Christoph, Luzi und Jody damals entwickelte, habe ich es zwar durchaus auf Robustheit hin angelegt: Die Anpassung an beliebige Messgeräte war einfach und flexibel: man konfiguriert sie durch Angabe einer einfachen expliziten mathematischen Formel, die angibt, wie sich die Messgrössen aus dem A/D-Wandler in die eigentliche Messeinheiten umrechnen. Für deren Abarbeitung hatten wir damals einen kleinen Formelevaluator implementiert. Auch die Zeitrechnung hatten wir damals eben auf Langlebigkeit ausgelegt. Trotzdem hätte ich nicht damit gerechnet, dass dieses Programm das Ende des DOS-Betriebssystems so lange überlebt. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir wochenlang nach einem Concurrency-Fehler im Betriebssystem fahndeten, nach dessen Behebung der Endlosbetrieb dann wirklich gewährleistet schien.

Bedauern

Ein leises Bedauern schleicht sich ein, dass es uns damals nicht gelungen ist, diese Programmentwicklung besser zu vermarkten. Die Behörden der Städte und Kantone gaben anderen, grossen Firmen wie Siemens und Tecan den Vorzug und kauften bei diesen sehr viel teurere Programme ein, die heute schon nicht mehr im Betrieb sind. Dann wollte der Staat gegen Mitte der Neunziger Jahre plötzlich nichts mehr für den Umweltschutz ausgeben und der Markt brach vollkommen zusammen.

Auf welchem Weg dieses Programm den Weg zur ETH gefunden hat, ist mir unklar. Jedenfalls hat diese nie eine Lizenz bei der Enter AG erworben. In Anbetracht der Aggressivität mit welcher uns das eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum Pauschalabgaben für nie in Anspruch genommene Urheberrechte auf Fotokopien, CD- und DVD-Rohlingen abzuknöpfen versucht, müsste die Enter AG hier eigentlich ihr geistiges Eigentum geltend machen. Da ich das schweizerische Urheberrecht für kultur- und wissenschaftsfeindlich halte, werde ich keine Juristen mit solchem Unsinn ernähren. Ich hoffe nur, dass die angehenden Wissenschaftler der ETH sich darüber im Klaren sind, dass sie ihre Arbeit nur aufgrund der dauernden „Verletzung von Urheberrechten“ erledigen können, und, dass sie uns im politischen und juristischen Kampf gegen Software-Patente und für eine Public Domain gebührend unterstützen.

Die Chancen, mit Programmentwicklungen in der Schweiz ein Produktegeschäft aufzuziehen, sind seit der Entwicklung unserer Immissionsmessungsprogramme praktisch auf Null gesunken. Die neuen EU-Ausschreibungen der öffentlichen Hand verursachen einen juristischen und bürokrtischen Aufwand, der normalerweise ein Vielfaches der technischen Investition ausmacht. Die Argumente, dass nur grosse Firmen eine dauerhaft verlässliche Wartung bieten, sind auch nicht dadurch widerlegbar, dass die Enter AG seit ihrem Bestehen ihre Produkte immer gewartet hat, was man von Tecan oder Siemens nicht gerade behaupten kann. Auf die Dauer erfüllen sich solche Prophezeiungen aber immer selber.



8. Mai 2005 Hartwig Thomas